30
Dez 13

Der Landsitz einer Katze

PussOfScotney_01Muße und Dauerregen an beiden Weihnachtstagen boten eine gute Gelegenheit, meine Fotos aus dem sich neigenden Jahr 2013 zu sichten.

Vielleicht habt auch Ihr Lust, Euch ein wenig aus dem Pitschpatsch-Wetter da draußen wegzuträumen und mich bei einer kleinen Retrospektive eines schönen Maisonntags in England zu begleiten?

STIPPVISITE IN SCOTNEY CASTLE

1010629Der Garten von Scotney Castle in Kent war eines der ersten englischen Gartenparadiese, in die es mich verschlug und das ich während der letzten 30 Jahren immer wieder besucht habe.

Lange Jahre hatte nämlich unser familieneigener Versand für Garten-und Wohnkultur einen wichtigen Partner in der Nähe, so daß mein Weg vom Fährhafen Dover aus bei jedem Fabrikbesuch fast an Scotney Castle vorbeiführte.

Unsere Firma und der Standort der englischen Manufaktur sind längst Geschichte, aber Scotney Castle besuche ich ab und an immer noch gerne.

Collage-BluebellsAls wir dieses Jahr in der zweiten Maihälfte in Scotney Castle vorbeischauten, führte uns die hauseigene Zufahrtstraße zunächst durch lichten Laubwald, dessen Boden bedeckt war von Abertausenden blauer Glöckchen, den legendären ‚Bluebells‘.

1010617Wenn man Inspiration für seinen eigenen, privaten Landhausgarten mit kleinen bis durchschittlichen Ausmaßen sucht, sei er nun ein traditioneller, deutscher Bauerngarten oder ein Cottage Garten im englischen Stil, so ist der Garten von Scotney Castle sicher nicht gerade der allergeeignetste Ort, aber zum bewundernden Anschauen und für ausgedehnte Spaziergänge in der unglaublich schönen, ‚freien‘ Landschaft (was in England nicht überall so ganz leicht ist), ist das weitläufige Gelände wunderbar.

Und der ‚Tearoom‘ von Scotney Castle  mit seiner großzügigen Gartenterrasse ist nicht nur wegen seines fantastischen ‚Cream Teas‘ immer einen Abstecher wert!

1010708Bei der Gartenanlage von Scotney Castle handelt es sich um einen weitläufigen, englischen Landschaftspark, um einen Gartentypus also, der die Absicht verfolgt, bestimmte Landschaftsformen so zu vervollkommnen oder gar erst zu erschaffen, daß diese, bei kunstvollst gestalteter ‚Natürlichkeit‘, dem perfekten Ideal einer Landschaft gleichen. Das ist eine Gestaltungsidee der großen Linien, die eher großzügige Ausmaße und oft erhebliche Geländemodulationen erfordert.

P1000545Im Gegensatz aber zum klassisch-englischen Landschaftspark des 18. Jahrhunderts wie etwa dem berühmten Stourhead (siehe obiges Foto), der die Harmonie eines antiken Arkadiens wiederbeleben möchte…

1010681… huldigt der Park von Scotney dem sogenannten ‚Picturesque Style‘, der in Landschaften …

1010666 … wie in der Architektur vor allem nach dem ‚Malerischen‘ sucht …

1010693 … und dabei seine Inspiration eher in den Formen und in einer romantischen Verklärung des Mittelalters findet.

1010645Der Landschaftsgarten von Scotney Castle kann bei allem aus dem Vollen schöpfen: üppig bewachsene Hänge …

1010646… die zu einem lieblichen Flußtal herabführen …

1010621… malerische Waldstücke …

1010620…weite Wiesen…

1010659

1010634… verwunschene Wasserläufe …

1010655… lange Blickachsen …

1010679… und verträumte Winkel – das ganze Arsenal eines ‚pittoresken‘ Landschaftsgartens eben.

RhododendronCollageBerühmt ist der Landschaftspark von Scotney Castle auch für seine überbordende Rhododendron- und Azaleenpracht im zeitigen Frühjahr. Für die ganz große Blütenshow waren wir diesmal zwar nicht ganz zum richtigen Zeitpunkt da.

1010724Aber genügend Farbe gab es natürlich trotzdem neben all dem frischen Maigrün!

1010695

DAS MITTELALTERLICHE SCHLOSS

Die unvergleichliche Perle der ‚pittoresken‘ Gartenanlage Scotneys aber ist zweifellos das in den Park eingebettete hochromantische, mittelalterliche Wasserschlößchen unten im Tal.

1010689Der Baubeginn für den ältesten Teil dieses …

1010656… auf einer kleinen Insel gelegenen Märchenschlosses muß bereits um 1378 gewesen sein.

1010632Der elisabethanische Südflügel im Foto oben kam ab 1580 dazu.

1010648Er wurde direkt an den kreisrunden Turm der mittelalterlichen Festungsanlage angebaut.

Der Ostflügel im Stil von Inigo Jones (Foto unten) wurde 1630 hinzugefügt. Allerdings wurde er 1843 beim Bau des neuen Schlosses der viktorianischen Ära teilweise abgebrochen …

1010706… so daß die ‚Ruinen‘ der Außenmauern nun die dekorative und hochromantische Kulisse …

RuineCollage… für einen ‚walled garden‘ abgeben. Pittoreske englische ‚folly‘-Architektur vom Feinsten! (‚Follies‘ waren Gebäude, die überwiegend dekorativen Zwecken im Garten dienten)

DAS NEUE SCOTNEY CASTLE
Scotney Castle war 1778 von der Hussey Familie gekauft worden, aber das mittelalterliche Herrenhaus wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als Wohnsitz aufgegeben. Vielleicht auch deshalb, weil sich sowohl der Käufer, wie auch einer seiner Söhne tragischerweise im Haus erhängt hatten.

Zwischen 1835 und 1843 baute der überlebende Sohn, Edward Hussey III., auf dem höchsten Punkt von Scotney ein neues Herrenhaus für die Familie.

1010723Schon die Ausführung des ziemlich bombastischen Baukörpers und der eindrucksvollen Fassaden im damals aufkommenden ‚Tudor Revival Style‘, der auf die Architektur des ‚goldenen Zeitalters‘ unter der Herrschaft von Elizabeth der I. zurückweist, demonstriert die typisch englische Verbundenheit mit Tradition und Geschichte.

1010722Doch auch der tragischen Familiengeschichte wurde bei der Standort-Wahl für ‚Scotney New Castle‘ nicht ausgewichen: Hoch über dem Tal thront der stolze, neue Familiensitz, mit direktem Blick auf das verwunschene, mittelalterliche  Wasserschlößchen, das für die Familie nun auch mit schmerzlichen Erinnerungen von Leid und Scheitern belastet war.

Zu gerne würde ich wissen, ob die obige permanente, wenn auch atemberaubend schöne Aussicht auf den Ort der Familientragödien eher Zeugnis für so etwas wie eine trotzige Verdrängungsbereitschaft des typischen Viktorianers war, oder ob es wie ein ständiges, mahnendes ‚memento mori‘ wirkte …

1010614An derlei Gesprächsthemen war natürlich keinesfalls zu denken, als ich vor vielen Jahren das Vergnügen hatte, zusammen mit englischen Freunden zum Tee in Scotney Castle geladen zu sein. Unsere Gastgeberin Elizabeth Hussey war allerdings, ebenso wie ich, eine leidenschaftliche Katzenliebhaberin und so gab es über die Samtpfoten, den Garten und das Wetter genug Vergnügliches zu plaudern.

ScotneyInteriorAuch die Eindrücke im Inneren von Scotney Castle waren natürlich eindrucksvoll. Da das Herrenhaus vergleichweise ‚jung‘ und nach dem Erbauer lediglich von zwei weiteren Generationen bewohnt worden war, war an der prachtvollen, viktorianischen Ausstattung der Gesellschaftsräume fast nichts verändert worden.


Auch hier ist natürlich zu sagen, daß heutige Liebhaber des ‚Country Style‘ hier kaum direkte Inspiration finden werden. Von der hellen, leichten und eher reduzierten Interpretation des Landhausstils, die derzeit im Trend liegt, ist die bombastisch-pompöse Ausstattung dieses viktorianischen Landsitzes doch eher weit entfernt: dunkle Hölzer mit reichen Schnitzereien für Möbelstücke und Täfelungen, üppig gemusterte Tapeten und schwere Samt- und Brokatstoffe in den typischen satten Farben, die die Viktorianer so liebten, dominieren einen Großteil des Interieurs von Scotney Castle.


Als Museum des Lebens-und Einrichtungsstils der viktorianischen Epoche ist das seit dem Tode von Elizabeth Hussey zugängliche Innere von Scotney Castle allerdings ein wahrer Schatz und ohne weiteres ließe sich hier wohl eine Familiensaga wie „Downton Abbey“ drehen.

PussOfScotney_02‚PUSS OF SCOTNEY‘- eine Katze mit Landsitz
Elizabeth Hussey lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 2006 auf Scotney Castle. Zwar hatte ihr Ehemann und letzte Erbe der Husseys bei seinem Tod 1970 Scotney Castle dem National Trust übergeben, aber wie üblich behielt seine Witwe ein Wohnrecht auf Lebenzeit.

Dieses lebenslängliche Wohnrecht gab die hochbetagte Dame bei ihrem Tod an ihre Katzen weiter. Die letzte überlebende Katze ‚Puss‘ bewohnt immer noch als ‚cat in residence‘ den viktorianischen Riesenkasten, streicht durch ihre gewohnten Räume, läßt sich auch einmal huldvoll von Besuchern kraulen. Wohl versorgt natürlich von den, meist ehrenamtlichen, tierlieben Mitarbeitern des National Trust. Wenn man Haus und Park besichtigt, hat man also gute Chancen, Puss, auch „Puss Puss“ gerufen, auf ‚ihrem‘ Landsitz zu treffen.

Leider hatte ich bei unserem kurzen Besuch im Mai nicht das Glück, Puss zu begegnen. Nur zwei ihrer Besucher entdeckte ich im Schloßhof.

1010729

PussOfScotney_03Wie mir Mitarbeiter im Tearoom berichteten, pflegt Puss den typischen Lebensstil eines englischen ‚Country House‘ : man empfängt draußen auf dem Land immer viele Hausgäste, wie wir es aus einschlägigen Serien wie dem bereits erwähnten „Downton Abbey“ kennen.

Obwohl ich Puss diesmal leider nicht antraf, könnt Ihr sie Euch anschauen, falls Ihr bei facebook seid. Denn natürlich hat „Puss of Scotney“ einen eigenen Auftritt bei facebook.


Damit nun zunächst adieu, meine Lieben, noch einen schönen Endspurt für das Jahr 2013 und einen sanften Rutsch ins Neue Jahr!


Ich danke für Eure Besuche und lieben Kommentare und hoffe, wir ’sehen‘ uns dann nächstes Jahr in alter Frische wieder!
Eure Christel